Europa

"Das Ausmaß ist schockierend" – Wie London Millionen für russische NGOs für politische Ziele ausgibt

Die im Netz veröffentlichten Dokumente zeigen, dass ein weitreichendes Netz russischer "NGOs" und sogenannter "unabhängiger Medien" im Sold des Außenministeriums von Großbritannien stehen. Das Ausmaß der Finanzierung sei "schockierend", meinen russische Diplomaten.
"Das Ausmaß ist schockierend" – Wie London Millionen für russische NGOs für politische Ziele ausgibtQuelle: AFP © Alexander Nemenow

Eine Reihe von politisch sensiblen Dokumenten des britischen Außenministeriums macht derzeit im russischen Internet die Runde. Insgesamt wurden 125 A4-Seiten aus den Jahren 2018-2020 öffentlich. Offenbar wurden die Unterlagen in gescannter oder abfotografierter Form ins Netz geladen.

Das sogenannte "Komitee zum Schutz der Nationalen Interessen" (im Weiteren als "Komitee" bezeichnet) hat in einem Artikel die Veröffentlichungen analysiert und systematisch eingeordnet. Die Dokumentensammlung setzt sich in erster Linie aus Finanzberichten der vergangenen drei Jahren und aus Ausschreibungen für bereits laufende oder künftige Projekte zusammen.  

Das "Komitee" wurde nach Eigenangaben von einem Netzwerk aus Aktivisten ins Leben gerufen, das sich zum Ziel setzt, die russischen Bürger systematisch über die "Aktivitäten ausländischer Agenten zu informieren". Es sei kein Geheimnis, dass sich hinter den schönen Slogans oft Instrumente der direkten Einmischung ausländischer Staaten in die inneren Angelegenheiten Russlands verbergen. "Wir sammeln Daten aus offenen Quellen und verbreiten keinen Hass gegen irgendwelche gesellschaftlichen Kräfte", betonen die Aktivisten. 

"Die britische Botschaft in Moskau übt seit vielen Jahren zielgerichteten Einfluss auf innere Angelegenheiten Russlands aus. Als Instrument treten durch Botschaft finanzierte Projekte der russischen Nichtregierungsorganisationen und Medien (darunter solche, die als ausländischer Agent eingestuft sind) und ausländischen Organisationen. Allein die Anträge für die Jahre 2020-2021 setzen in Summa Finanzierung in Hohe von 760 Millionen Rubel (umgerechnet 9 Millionen Euro) voraus" – so heißt es in der Analyse.

Aus den Dokumenten werde ersichtlich, dass das britische Außenministerium Foreign & Commonwealth Office (FCO) auch in solchen Bereichen wie der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, dem gesellschaftlichen Austausch oder der Ausbildung klare politische Zielvorgaben zugunsten der britischen außenpolitischen Agenda verfolgt. 

Außerdem werde sichtbar, dass viele russische NGOs offenbar falsche Angaben machen, wenn sie behaupten, nur aus inländischen Spenden finanziert und unpolitisch tätig zu sein. So bekäme laut Eigenangaben die 1992 gegründete "Schule für bürgerliche Aufklärung" Geld nur aus russischen Quellen und verfolge keine politischen Ziele. Ihre Geldgeber aus dem Foreign Office sagen etwas ganz anderes:

"Wir unterweisen die Schule für bürgerliche Aufklärung bei der Ausbildung von bürgerlichen und öffentlichen  Führungspersönlichkeiten, die jetzt und zukünftig Demokratie und Menschenrechte fördern."

Im Durchschnitt bekommt jedes einzelne Projekt oder jede NGO eine Finanzierung in Höhe von etwa 100.000 Euro oder mehr. Dabei vermittelt das britische Außenministerium auch Gelder aus EU- oder Soros-Stiftungen, die in Russland bereits für unerwünscht erklärt worden sind. 

Besonders am Herzen liegt den Briten die Förderung des LGBTIQ-Aktivismus. Die von ihnen geförderten Projekte sollten in einer langfristigen Perspektive zu einer positiven öffentlichen Meinung gegenüber der LGBTIQ-Gemeinschaft und anderen "unterdrückten Gruppen" führen. Speziell geschulte Journalisten müssten unter anderem dafür verantwortlich sein, die notwendigen Einstellungen zu prägen.

"Die Ziele der Projekte gehen jedoch weit über die Menschenrechte hinaus und sind politischer Natur. Dazu gehören die folgenden: Stärkung der Position von LGBTIQ-Aktivisten und Entwicklung des Aktivismus in den Regionen, wie etwa dem stark islamisch geprägten Nord-Kaukasus, stärkere Vertretung und Sichtbarkeit von LGBTIG-Personen in sozialen und politischen Bereichen", schlussfolgert das "Komitee".

Insgesamt gibt es fast kaum einen Bereich des russischen gesellschaftlichen Lebens, an dem das britische Außenamt kein Interesse hätte. Dazu gehören auch Probleme mit der Migration, häusliche Gewalt gegen Frauen, Folter in Strafvollzugseinrichtungen, die Pressefreiheit oder der Umgang Russlands mit Problemen in der eigenen Geschichte wie mit dem Terror in Zeiten des Stalinismus. Bezeichnend ist: Für Empfänger solcher "Förderung" werden bereits im Vorfeld klar bezifferte Ziele und Vorgaben gesetzt. 

So startete das britische FCO als gemeinsames Projekt der ältesten und bekanntesten russischen NGOs, des Interregionalen Menschenrechtszentrums Memorial zusammen mit dem Niederländischen Helsinki-Komitee zur Unterstützung der Rechte der Migranten (Anm.: gemeint sind Arbeitsmigranten aus den zentralasiatischen Ländern – Anm. der Red.). 

Zu den anvisierten Projektergebnissen gehören beispielsweise die Einreichung von 10.000 Beschwerden bei der Staatsanwaltschaft, dem Innenministerium, den Gerichten und Verwaltungsbehörden sowie die Einreichung von 100 Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

"Auf diese Weise sieht die vom Vereinigten Königreich finanzierte Tochtergesellschaft von Memorial den internationalen rechtlichen Druck auf Russland im Voraus", so die Analyse. 

Ähnlich sieht es auch in anderen Bereichen aus: Um die Finanzierungsvorgaben zu erfüllen, setzen die als "unabhängig" getarnten Organisationen die klaren Ziele und Vorgaben ihrer ausländischen Förderer um. So bereitet die britische Botschaft auch mindestens 10 Medienprojekte zu Menschenrechtsfragen in Russland vor. "Angesichts der Finanzierungsquellen ist es möglich, dass eine selektive Berichterstattung das russische Rechtssystem diskreditiert", schreibt das "Komitee" dazu: 

"Offenbar verbirgt sich hinter der gut gemeinten Formulierung eine triviale finanzielle Einflussnahme auf russische Menschenrechtsgruppen, welche das Geschehen in Russland im Sinne der Interessen des Sponsors interpretieren können."

Die Organisation "Memorial", die in Russland bereits als ausländischer Agent eingestuft wurde, war seit ihrer Gründung im Jahr 1989 maßgeblich an der Aufarbeitung des stalinistischen Terrors tätig. Nach Meinung des britischen Außenministeriums müsste man nun aber "neue Formen des Überdenkens der stalinistischen Unterdrückung" finden. Im Rahmen seiner Förderung wird das Vereinigte Königreich die Erstellung eines Kartierungsprojekts mit dem Titel "Stätten des sowjetischen Terrors auf einer Karte Russlands" finanzieren.

"Tatsächlich handelt es sich um ein weiteres Projekt von Memorial, die russische Geschichte in Richtung ihrer negativen Bewertungen umzudeuten."

Die Koordinierung dieses Projekts erfolgt offenbar in Absprache mit deutschen Partnern. "Im Falle eines behördlichen Drucks auf Memorial in Russland wird das Projekt dank seiner Niederlassungen sicher in die Tschechische Republik oder nach Deutschland verlegt werden können", so heißt es in einem Dokument des FCO. 

Zu einem anderen Projekt heißt es, dass sich die Hauptaktivitäten eines geförderten russischen Nachrichtenportals Mediasona darauf konzentrieren werden, "offizielle Versionen von Ereignissen infrage zu stellen" und "kritisches Denken unter jungen Menschen" durch Inhalte der Sozialen Medien zu verbreiten. Mediasona befindet sich schon seit Langem im Visier der russischen Behörden. Erst letzte Woche gab das russische Justizministerium bekannt, dass Mediasona in das "Register der ausländischen Agenten" aufgenommen wurde. 

Schockierend nannte die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa die Offenbarungen aus den Finanzierungsdokumenten in ihrem Kommentar auf Facebook:

"Der Umfang der Finanzierung und der Projektaktivitäten ist selbst bei flüchtiger Betrachtung schockierend. Die Initiierung und Förderung solcher Projekte geht über den Rahmen der normalen diplomatischen Aktivitäten und der russischen Gesetzgebung hinaus."

Rein rhetorisch warf sie dazu einige Fragen auf: 
"Was würden uns wohl die Anti-Propaganda-Experten in Brüssel oder die engagierten Kommissare der OSZE, des Europarats und der UNESCO zum Thema der Einmischung Londons in die inneren Angelegenheiten Russlands sagen?" 

Sie wies auf die im Februar veröffentlichten Unterlagen des britischen Außenministeriums hin – die sogenannten "London Papers". Denen zufolge solle ein finanziell gefördertes Mediennetz "die Voraussetzungen für einen Regimewechsel" in Russland schaffen und "den russischen Einfluss" in Osteuropa und Zentralasien untergraben:

"Wir warten auf die Reaktion Londons. Es ist an der Zeit."

Mit einer offiziellen Reaktion Londons auf die Veröffentlichung ist allerdings nicht wirklich zu rechnen. "Wir kommentieren niemals durchgesickerte Informationen", erklärte bereits der Pressedienst der britischen Botschaft gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Nowosti.

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